Ich mache mal ein ganz „gefährliches“ Fass auf: Das Thema Hierarchie. Sie wird in vielen Kreisen gerne als Teufelszeug verteufelt. Mein Eindruck ist jedoch, dass hier die falschen Fragen gestellt werden und wir stärker differenzieren müssen. Hierarchie ist nicht per se schlecht und böse. Hierarchie ist natürlich auch eine Herrschaftsform. Das klingt erst mal böse. Da übt jemand Macht über andere aus. Für mich ist die spannende Frage, weshalb jemand Macht und damit Herrschaft ausübt und ist das legitimierbar und nachvollziehbar begründbar. Sie kann durchaus legitim sein. Nämlich dann, wenn wir sie – wie in größeren Organisationen – als eine Art Arbeitsteilung verstehen, bei der die jeweilige Ebene einen Fokus hat, um den sie sich schwerpunktmäßig kümmert und für den sie jeweils die Hauptverantwortung (nicht die alleinige Verantwortung) trägt. Ein Fokus jeweils z. B. auf Strategie/Taktik/operative Umsetzung.
Großes Problem dabei ist, dass viele die gegenseitigen Abhängigkeiten ignorieren. Die strategische Führung verkennt oft, dass sie zur Überprüfung ihrer Hypothesen auf die Rückkopplung mit der Taktik/Umsetzung (und umgekehrt) angewiesen ist und alle drei nur im Zusammenspiel funktionieren. Wenn operative Einheiten zu stark in die Strategiearbeit eingebunden sind, leidet die Umsetzung. Hierarchie als Arbeitsteilung erlaubt hier als Funktion die Fokussierung auf den jeweiligen „Kontext“. Der – aus meiner Sicht – große Fehler liegt dann meist darin, in „absoluten und harten Grenzen“ zu denken und die gegenseitigen Abhängigkeiten und Einflüsse bzw. Zusammenhänge zu wenig zu berücksichtigen. Wenn ich hier 5S im Kopf mache: Warum habe ich eine Hierarchie und welchen Zweck erfüllt sie für wen? Was braucht sie, um „legitim“ zu sein? Wie trägt sie zum Gelingen des Ganzen bei? Da sind wir schnell bei Servant Leadership. Auch eine Form von Hierarchie, der ich mich als Geführter unterordne. Wir kommen dann auch rasch zu der Frage, was es braucht, damit das Gesamtergebnis wieder stimmig ist und was es an den jeweiligen Schnittstellen braucht, damit nahtlos weitergearbeitet werden kann.
In jeder Freiwilligen Feuerwehr (FFW) gibt es eine Kommandohierarchie und FFWs sind für mich der Inbegriff von Lean, Agile und Unternehmensdemokratie. Die Kommandohierarchie erfüllt einen Zweck, der von allen „Fachleuten“ anerkannt wird. Der operative Teil kann sich darauf verlassen, dass die taktische und strategische Ebene dafür sorgt, dass der Rahmen geschaffen wird, damit sie im Einsatz agil agieren können. Sie haben den Kopf frei für die Umsetzung, während weiter oben in der Befehlskette die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Das Ganze funktioniert aber nur, weil es eine ständige Rückkopplung zwischen allen Ebenen gibt. Und genau da hakt es in vielen Organisationen gewaltig. Sätze wie meine „Die Mitarbeitende können keine Prioritäten setzen“ oder was „Die da oben, haben keine Ahnung was hier bei uns los ist“ sollten aufhorchen lassen. Denn offensichtlich funktioniert das Zusammenspiel nicht. Nicht ohne Grund ist man gut beraten, sich immer wieder an den „Ort des Geschehens“ zu begeben und dort das Gespräch zu suchen. Es ist ein Zusammenspiel, ein Miteinander, kein Gegeneinander, wenn gute Ergebnisse erzielt werden sollen.
Und damit komme ich zum eigentlichen Knackpunkt. Mit diesem Gedankenblitz habe ich nur Teile eines durchaus komplexen Themenfeldes erfasst. Der – ich nenne ihn mal so – „agile Beißreflex“, die Hierarchie in Bausch und Bogen zu verdammen, ist mir persönlich zu einfach und passt – meiner Meinung nach – auch nicht zu einer agilen Denkweise. Mir ist aufgefallen, dass wir unglaublich viele – auch als oder in der agilen Gemeinschaft- „Beißreflexe“ haben und „wissenschaftlich, sachlich-nüchterne“ Begriffe normativ aufladen, anstatt sie – eben wissenschaftlich, sachlich-nüchtern – zu verwenden. Hierarchie, Herrschaft, Macht sind sozialwissenschaftliche Begriffe, mit denen wir Zusammenhänge besser beschreiben und verstehen können. Das finde ich hilfreich. Übrigens muss ich selbst noch viel üben, um meine „Trigger “ einzufangen. Habe mich neulich wieder dabei erwischt 😉