In letzter Zeit werde ich häufig mit dem Wunsch konfrontiert, für jede Eventualität eine Regelung zu schaffen. Detailliert natürlich. Es muss ja schließlich alles seine Ordnung haben und jeder muss wissen, was er zu tun hat. Dabei sollen Dinge geregelt werden, die eventuell und vielleicht irgendwann einmal relevant sein können. Aus meiner Sicht keine gute Idee und sogar fatal oder anders ausgedrückt, alles in die Zukunft hinein detailliert regeln zu wollen, hinterlässt Chaos und Unverantwortlichkeit. Es ist kontraproduktiv.
Mit einer detaillierten Regelung weit in die Zukunft hinaus lege ich Verantwortlichkeiten, Prozesse fest – ohne jedoch alle verfügbaren Informationen zu haben. Unsere Welt ist hochgradig komplex. Ereignisse, in der Zukunft, die ich jetzt gerade deshalb nicht abschätzen kann, detailliert zu regulieren ist unmöglich, weil ich die Details nicht kenne. Wenn überhaupt kann ich eine begrenzte Zahl möglicher Eventualitäten abschätzen, aber selbst dann ist es kaum möglich, das genaue Prozedere detailliert festzulegen. Einen Plan detailliert und weit in die Zukunft festzuzurren, nimmt mir die Flexibilität in an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Und in aller Regel lässt sich folgendes Beobachten: Passen empirische Realität und Plan nicht zusammen, wird nicht der Plan angepasst, sondern die empirische Realität ignoriert. Der Plan steht fest – denn haben wir schließlich in mühseliger Kleinarbeit ausgearbeitet und genauso haben wir ihn durchzuziehen. Basta.
Ein solches Vorgehen kann ich anwenden, wenn ich einen Standardprozess habe. Etwas, dass ich immer gleichbleibend immer wiederholt und für das ich dank Erfahrungswerten der Vergangenheit drauf vertrauen kann, dass der Ablauf gleich bleibt. Aber wann und wie oft ist das der Realität der Fall? In einem hochkomplexen, sich permanent verändernden Umfeld sicherlich kaum. Hier ist das Streben nach Sicherheit und Ordnung eher kontraproduktiv, weil es uns Handlungsspielraum nimmt und die Handelnden beschränkt.
Überregulierte Abläufe und Prozesse können sogar dazu führen, dass die handelnden Akteure „unverantwortlich“ werden. Wir entziehen Ihnen die „Verantwortung“. Weil wir ihnen detailliert vorgeben, was sie zu tun und zu lassen haben. Tritt dann der Fall ein, dass die Dinge nicht wie geplant eintreten, herrscht Chaos. Niemand ist verantwortlich. Es herrscht organisierte Unverantwortlichkeit. Der Plan wird durchgeführt – ob er passt oder nicht. Weil es so definiert worden ist und weil niemand in der Lage ist den Plan anzupassen. Das ist nicht vorgesehen.
Nicht, dass mir jetzt der falsche Eindruck entsteht, ich würde von Strukturierung, Planung und Regelung überhaupt nichts halten. Aber ich glaube nicht, dass mensch weit in die Zukunft planen kann. Festlegung von Verantwortlichkeiten und Planung sind per se nicht schlecht. Aber langfristig ausgelegte Pläne und Regelungen müssen flexibel und anpassungsfähig sein.
Lieber Tom,
lass mich aber deinen Schlusssatz weiterspinnen. Was wären denn „flexible und anpassungsfähige Regelungen“?
Genau! Es würde heißen, jetzt schon im Hinblick auf das Unvorhersehbare die Fähigkeiten zur Selbstorganisation in Teams zu verstärken. (Dass jede Brandkatastrophe in sich einzigartig und unvorhersehbar ist, heißt ja nicht, dass die Feuerwehrleute nicht trainieren – ganz im Gegenteil.)
Das bedeutet, gerade nicht genau Abläufe jetzt schon festlegen wollen. Sondern das eigenständige Treffen von Entscheidungen, die schnelle Koordination im Team, durchaus auch das blitzschnelle routinierte Abspulen von Bausteinprozessen – das kann man alles sehr gut schulen. Das funktioniert aber nur durch Selbstorganisation, also nicht im Korsett der klassischen Befehlskette.
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Danke für diese – auf den Punkt gebrachte – Ergänzung. Ich stimme Dir voll zu.
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