Wenn die Klugheit in der erfahrenen Benutzung und Verwertung aller Dinge besteht, wer verdient da wohl eher den Beinamen „klug“: Der Weise, der halb aus Bescheidenheit, halb aus Furchtsamkeit nichts beginnt, oder der Tor, den weder die Scham – denn er besitzt keine -, noch die Gefahr – denn er hat nicht Verstand genug, sie zu erkennen – von der Ausführung irgendeines Plans abhalten? Der Weise vergräbt sich mit seinen alten Büchern und lernt ausschließlich nichts als Spitzfindigkeiten; der Tor dagegen erwirbt sich dadurch, dass er alles unternimmt und probiert, wenn ich mich nicht täusche, die wahre Klugheit. […] Zwei Dinge vornehmlich hindern den Menschen an der richtigen Erkenntnis dessen, was zu tun ist: erstens die Scham, die den Geist verblendet, und dann die Furcht die durch deutliches Vorhalten der Gefahr die Untätigkeit wünschenswerter erscheinen lässt. Aber der Torheit gelingt es prächtig, uns von alledem zu befreien. Erasmus von Rotterdam
Quelle: Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit; Köln 2006; S 47