#GEDANKENBLITZ | Weshalb ich zunehmend an meinen Mitmenschen verzweifle …

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Man könnte wohl die rationalistische Einstellung folgendermaßen ausdrücken; vielleicht habe ich unrecht, und du hast recht, jedenfalls können wir beide hoffen, nach unserer Diskussion klarer zu sehen als vorher, und jedenfalls können wir ja beide voneinander lernen, solange wir nur nicht vergessen, dass es nicht darauf ankommt, wer recht behält, als vielmehr darauf, der Wahrheit näherzukommen. Nur zu diesem Zweck verteidigen wir uns in der Diskussion so gut, wir eben können. Karl R. Popper

Quelle: Karl R. Popper, Alles Leben ist Problemlösen, München 2005, S 161

Liebe Mitmenschen,

ich verzweifele langsam an euch. Was ist passiert?

Statt Dialog erlebe ich immer öfter Meinungsfundamentalismus. Kritisch und konstruktiv miteinander umgehen? In den Diskurs zu gehen und unterschiedliche Perspektiven zuzulassen, scheint nicht mehr en vogue zu sein. Anstatt Argumente auszutauschen und unterschiedliche Sichtweisen anzuerkennen, mündet jede auch nur ansatzweise kritische Äußerung in einen Wahrheitsabsolutismus, der jedes gemeinsame Erkunden von Annahmen, Gründen und Perspektiven im Keim erstickt und in einen Stellungskrieg persönlicher Animositäten übergeht. Es ist, als würde jede Seite für sich in Anspruch nehmen, unfehlbar zu sein und die alleinige, glückselig machende Wahrheit zu verkörpern. Was ich immer öfter erlebe, ist der beleidigte Rückzug ins „Private” statt der gemeinsamen Erkundung von Ursachen und Gründen. Was ich zunehmend erlebe, ist: „Ich habe Recht und du hast Unrecht. Basta. Und ab jetzt rede ich nicht mehr mit Dir.“

Es kann auch mal emotional werden. Wir sind schließlich alle Menschen. Okay. Aber wir sind auch soziale Wesen. Wir müssen zusammenarbeiten. Wir brauchen Kritik, um uns weiterzuentwickeln, unsere Ideen zu prüfen und auf die nächste Ebene zu heben. Wir sind nicht allwissend. Wir sind nicht unfehlbar. Wir sind Teil eines komplexen Ganzen, das ebenfalls nicht unfehlbar ist. Wir lernen. Beständig. Immer wieder neu. Voneinander. Und wir sind Teil einer Gemeinschaft. Wie soll das funktionieren, wenn wir uns hinter Gräben und Wällen verschanzen, statt Vielfalt zuzulassen?

Und selbst wenn es einen Dissens gibt: Wo liegt das Problem? Sind unterschiedliche Sichtweisen so schwer zu akzeptieren, solange sie auf gegenseitiger Würdigung und Gleichrangigkeit basieren? Man kann unterschiedlicher Meinung sein und sich dennoch mit gegenseitigem Respekt und ja, sogar in Freundschaft begegnen.

Und ja, dazu gehört auch, Grenzen zu setzen. Zu sagen, wo unsere roten Linien liegen. Diese müssen gegenseitig anerkannt und gewürdigt werden. Dafür müssen wir miteinander reden und klären, wo diese Linien verlaufen. Nur so können wir gemeinsam Wege finden, wie wir miteinander umgehen. Alles nichts Neues. Generationen vor uns haben sich diese Fragen gestellt und beantwortet. Von der Antike über die Aufklärung bis heute. Irgendwann gab es einen ausgehandelten Konsens. Einen Konsens, den ich zunehmend als „bedroht” wahrnehme. Bewegen wir uns rückwärts?

9 Kommentare zu „#GEDANKENBLITZ | Weshalb ich zunehmend an meinen Mitmenschen verzweifle …

  1. Ich pflege in Diskussionen immer zu sagen: „Wenn ich nicht diskutieren kann, lerne ich nichts. Auch wenn ich vllt hart argumentiere, so ist es doch der Beweis, dass ich deine Argumente ernst nehme. Wärs anders würde ich gar nichts sagen – wäre dir das recht?“

    Es ist manchen tatsächlich recht.

    Es werden manchmal nur bekannte Phrasen abgeschossen. Nichts mehr eigenes, nur noch das, was in toxischen Sharepics daherkommt und die Welt verseucht. Man darf sich dann schon die Frage stellen ob man alles wegkehren sollte.

    Vllt liegt’s am Zeitgeist? Die Aufmerksamkeitsspanne ist deutlich gesunken. Warum sich also mit etwas Wichtigem beschäftigen, wenn es dazu jede Menge Bilder gibt, die jeweils nur „Pro“ und „Contra“ enthalten.

    Leider keine mit „Conplexion“ …also nicht die Zustimmung oder Ablehnung, sondern der komplexere Dazwischenraum. Erkenntnis im Prozess.

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  2. ch pflege in Diskussionen immer zu sagen: „Wenn ich nicht diskutieren kann, lerne ich nichts. Auch wenn ich vllt hart argumentiere, so ist es doch der Beweis, dass ich deine Argumente ernst nehme. Wärs anders würde ich gar nichts sagen – wäre dir das recht?“

    Es ist manchen tatsächlich recht.

    Es werden manchmal nur bekannte Phrasen abgeschossen. Nichts mehr eigenes, nur noch das, was in toxischen Sharepics daherkommt und die Welt verseucht. Man darf sich dann schon die Frage stellen ob man alles wegkehren sollte.

    Vllt liegt’s am Zeitgeist? Die Aufmerksamkeitsspanne ist deutlich gesunken. Warum sich also mit etwas Wichtigem beschäftigen, wenn es dazu jede Menge Bilder gibt, die jeweils nur „Pro“ und „Contra“ enthalten.

    Leider keine mit „Conplexion“ …also nicht die Zustimmung oder Ablehnung, sondern der komplexere Dazwischenraum. Erkenntnisse im Prozess.

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  3. Ich denke, das Problem ist der fehlende Respekt, den man heute in vielen Diskussionen findet. Ich hatte in den letzten Wochen ein paar sehr gute Diskussionen, mit anderen Bloggern, über Themen, wo wir wirklich verschiedene Standpunkte hatten. Diese waren wirklich gut, mit gegenseitigem Respekt, auch wenn man am Ende auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen ist. Trotzdem würde ich mit den Menschen sofort ein Bierchen trinken gehen. Leider ist das inzwischen die Ausnahme geworden, zumindest im Netz.

    In der gleichen Zeit habe ich mehrere Diskussionen für mich beendet und auch Personen blockiert, weil es ganz schnell ins Persönliche und verbohrte abgedriftet ist. So etwas tue ich mir nicht mehr an, dafür ist mir meine Lebenszeit zu schade geworden.

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  4. Im Netz gibt es mittlerweile Plattformen wo die Botdichte so hoch ist, das Diskussionen unmöglich sind, denn einen Bot veränderst du nicht.

    Insgesamt finde ich ist die Diskussionskultur in den letzten 1-2 Jahren wieder besser geworden.

    Dann glaube ich eine Gruppe identifiziert zu haben, die eigentlich nur Schuldige sucht, um sich vor den eigenen Verantwortlichkeiten zu drücken. Und hier würde ein Umdenken nach einer Diskussion so massive Veränderungen bedeuten, das dieses Szenario nicht extrem unwahrscheinlich ist.

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    1. Es sind leider nicht nur die sozialen Netzwerke, sondern auch das tägliche Verhalten im nicht-analogen Raum. Es ist der ganz normale Alltag und alltägliche Miteinander, in dem ich diese Beobachtung – zusätzlich zu den Kommentarspalten in auf Webseiten und in sozialen Netzwerken erlebe.

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